Gestern musste ich meinen geliebten Wellensittich Smartie erlösen lassen.
Er war nur 3 Monate bei mir, fast 2 1/2 davon habe ich um sein Leben gekämpft. Ein Leben voller Schmerz und Leid. Wir waren ständig bei der vkTÄ, er stand unter Dauerbehandlung. Der letzte Therapieversuch war mittlerweile als gescheitert anzusehen - Smartie ging es nicht mal unter Maximalmedikation erträglich gut. Die letzten 10 Tage hat er fast ausschließlich geplustert, mit vor Schmerz wippender Schwanzfeder auf seiner Schaukel gesessen, und die Augen halb geschlossen. So war es zu 98%, und es hat mir das Herz zerrissen. Trotzdem konnte er noch von einer auf die andere Sekunde für einen kurzen Moment fast gesund aussehen - er hat sich geputzt, sein geliebtes Knaulgras von meiner Hand gefressen, und ist die kurze Strecke bis zum Freisitz geflattert. Wo er dann aber auch wieder nur geplustert hat und so elend aussah. Dennoch sind mir diese fehlenden 2% unendlich schwer gefallen - er war noch so jung, und ich wollte unbedingt daran glauben, dass er wieder gesund wird.
Smartie sollte leben! Ich habe ihm immer wieder gesagt, dass er durchhalten soll, dass er es bei mir gut hat und dass das Leben schön ist.
Für ihn war es das nicht. Als ich verstanden habe, dass ich nur das Sterben verlängere, und nicht sein Leben, habe ich ihn auf eindeutiges Anraten meiner TÄ erlösen lassen. Als wir im Behandlungszimmer darauf warteten, wurde er plötzlich munter wie die letzten Wochen nicht mehr, hat sogar zweimal getschiept, und der Kot sah plötzlich besser aus. Dennoch hat die TÄ ganz eindeutig gesagt, dass er nur noch leidet, es keine Chance auf Besserung gibt und wir ihn auf jeden Fall erlösen sollten. Ein typischer Fall von letztem Aufbäumen.
Ich hatte mich in den Wochen zuvor so oft mit dem Gedanken des Erlösens auseinander gesetzt. Mir fehlt jegliches Verständnis dafür. dass so ein junges, liebes Tier dermaßen leiden muss und nicht leben darf. Wie soll man da noch an Gerechtigkeit, Gott, oder welche Instanz auch immer glauben? Man sagt, alles hat seinen Sinn, aber wie kann es bei so viel Leid und Trauer einen geben? Was hat dieser arme Vogel verbrochen? Ich hab so sehr für Smartie gehofft, dass er dann, wenn es soweit ist, wenigstens in Frieden gehen kann. Meine TÄ (die nächste erreichbare vkTÄ) ist fast 1 h Fahrzeit entfernt, die Strecke kennt mein Auto schon im Schlaf. Die ganze Fahrt lang habe ich geweint und mir so sehr gewünscht, dass das letzte, was Smartie von dieser Welt spürt, das Ende seiner Schmerzen und ein tiefer Friede ist.
Leider kam es ganz anders. Das Einschläfern war für mich der absolute Horrorfilm. Ich musste schon viele Tiere in meinem Leben einschläfern lassen und habe dabei leider auch schon sehr unschöne Dinge erlebt. Nun hatte ich gehofft, dass dies bei einer vkTÄ nicht passiert und bin extra nochmal die weite Strecke gefahren, statt mein Vögelchen hier vor Ort in einer normalen Kleintierklinik erlösen zu lassen.
Von diesem furchtbaren Gefühl. dass Smartie in der Praxis plötzlich nochmal besser wurde, abgesehen, war das Einschläfern selbst auch unfassbar entsetzlich. Relativ schnell durften wir ins Behandlungszimmer, weil ich vorher angerufen hatte. Ich hatte mitgeteilt, dass ich gekommen bin, um ihn erlösen zu lassen, aber dann gesagt, dass ich vorher nochmal reden will. Die TÄ ging daher nochmal zu einem anderen Patienten, der schon länger wartete, und wir mussten lange, lange im Behandlungsraum waren. Als die TÄ dann zurück kam, stellte sie bereits ein Grablicht vor der Käfig und nahm es dann nochmal weg, als wir redeten. Auf der einen Seite habe ich noch nie eine so liebe Geste erlebt, ein Grablicht mitzubringen, auf der anderen Seite war dieses Hinstellen-Wegnehmen-Hinstellen die reinste Psychofolter für mich. Hatte ich doch bis zuletzt gehofft, dass noch ein Wunder geschieht.
"Du bist behütet" stand auf der Kerze, die leuchtete, als Smartie gehen musste. Offenbar war er es nicht,
Die TÄ gab ihm die Narkose, und zum Einschlafen durfte ich ihn (auf meine Wunsch) nochmal halten. Sie warnte mich aber vor, dass es sehr schnell gehe. Ich habe Smartie auf meine Brust gesetzt und schützend die hohlen Hände über ihn gehalten, wie ich es für viele Vögel vor ihm schon getan habe, weil es sie zu beruhigen scheint. Aber Smartie beruhigte sich nicht. Als die Tierärztin, während sie die Spritze vorbereitete, noch sagte "Er schläft bestimmt schon längst!", zwickte Smartie mir immer wieder in die Hand und versuchte, sich zu befreien. Wir warteten noch länger, begleitet von so hilfreichen Aussagen wie "es müsste doch schon längst wirken", und schließlich passierte das für mich Furchtbarste - der bereits stark narkotisierte Vogel befreite sich aus meiner Hand. Ich mache mir immer noch Vorwürfe, dass ich ihn besser hätte halten müssen, aber ich wollte ihn ja nur schützen und nicht festquetschen, und hätte nach der langen Zeit seit der Narkose nie im Leben mit diesen Kräften gerechnet.
Jedenfalls flog Smartie trotz der Narkose mehrere (!) Runden unkontrolliert durch das große Behandlungszimmer, kollidierte ein paarmal mit Wänden und Einrichtung, und wäre das alles nicht schlimm genug, krachte er dann auch noch mit voller Wucht gegen die ungesicherte Fensterscheibe, bevor die Tierarzthelferin (wir waren zu dritt im Raum) ihn auffangen konnte. Ich kann nicht beschreiben, was das für mich für ein Horror war. Nach den ersten Runden und Kollisionen habe ich mir nur noch die Hände vor's Gesicht gehalten und konnte nichts tun, als immer wieder "Nein! Nein!" zu sagen. Ich hatte mir doch so sehr einen friedvollen Abschied für meinen armen Smartie gewünscht - und bekommen haben wir Horrorschock á la "Green Mile". Warum hat eine VOGELärztin eigentlich ungesicherte Fenster?
Smartie musste dann bei vollem Bewusstsein noch ein zweites Mal gespritzt werden, wanderte dafür insgesamt von der Hand der TÄ in meine, in die Hand der Helferin, in meine, in die Hand der TÄ, bevor endlich, endlich die Narkose wirkte und er dann sehr schnell das Eutha-Medikament gespritzt bekam. Die TÄ sagte, es lag daran, dass sein Immunsystem schon überhaupt nicht mehr funktionierte, dass die Narkose nicht wirkte. "Psychologisch ungünstig" nannte sie es. Ich weiß auch, dass es nicht ihre Schuld ist, aber ich verstehe nicht, warum das auch noch passieren musste, was ich verbrochen habe - und vor allem mein armer Smartie, um dermaßen gestraft zu werden.
Das Grablicht schenkte mir die TÄ, was ich wirklich sehr lieb und außergewöhnlich fand, und auch die TFA fragte bei der Rechnungsausstellung extra nochmal, ob ich die Kerze mitgenommen habe, sie sei ein Geschenk.
Aufgrund des Sturmes stand ich dann auf dem Rückweg im Auto mit dem toten Vogel neben mir 2 1/2 h im Stau, und war insgesamt 5 h unterwegs, "nur" um meinen Vogel erlösen zu lassen. Als ich schon 1 h weinend unterwegs war, bemerke ich einen Anrufversuch und eine SMS der Praxis auf meinem Handy. Ich hätte den Untersetzer der Kerze nicht mitnehmen dürfen, das sei ein Missverständnis, sie bräuchten ihn zurück. In dem Moment konnte ich es nicht fassen, ich stand noch dermaßen unter Schock und hab die Welt nicht mehr verstanden. Umkehren konnte ich nicht mehr. Am liebsten wäre es mir gewesen, die ganze Kerze nicht mitgenommen zu haben, es hat mich total überfordert und ich fand es total unpassend. Als ich mich etwas beruhigt hatte, habe ich aber gesehen, dass der Untersetzer aus sehr massiver Qualität war - hätte man sich vielleicht denken können, aber in dem Moment hielt ich das für zusammengehörig, als ich TÄ darauf deutete und sagte, ich dürfe das gerne mitnehem. Ich habe den Untersetzer nun zurück geschickt, nachdem er die Kerze noch während der Beerdigung in meinem Garten gehalten hat. Smartie wurde noch noch am selben Abend im Stockdunkeln und bei Regen beerdigt, nachdem ich auf dem Rückweg noch einen Lebensbaum (...) für sein Grab gekauft habe. Irgendwie war das Wetter passend - der Himmel weinte, die Welt stand im Sturm, der Himmel war aufgerissen. Trotzdem hätte ich ihn gern im Hellen und etwas gemütlicher beerdigt, aber ich konnte ihn einfach nicht eine Nacht in den Kühlschrank tun oder einfach im Keller liegen lassen. Ich wollte, dass er seine Ruhe findet. Und ich auch. Bei Kerzenlicht und mit Gebet.
Smartie's Grab ist vor dem eines anderen meiner früheren Wellis. Er hat eine an dem Tag verlorene Feder seiner Henne unter den einen Flügel und eine Haarsträhne von mir unter den anderen Flügel bekommen. Die Hirse aus dem Transportkäfig habe ich mit ihm begraben. Ich hoffe, er ist jetzt im Hirsehimmel.
Auch wenn ich Smartie nur so kurz hatte, habe ich ihn unendlich geliebt. Manchmal schweißt einen erst der Kampf ums Leben so sehr an ein Tier, aber Smartie hat mein Herz bereits im Sturm erobert, als er noch in seinem Jungvogelschwarm in der Verkaufsvoliere saß. Die zuständige Tierpflegerin bemerkte auch gleich: "Er sieht nur Sie an!". Smartie's Name fiel mir spontan auf der Rückfahrt nach dem Kauf ein - und er war Programm! Smartie war so süß und lie - er hatte von Anfang an absolute Lieblingsvogelqualitäten. Jeder Welli ist liebenswert, aber von den über 30 Wellis meines Lebens hatten nicht viele mein Herz so sehr berührt wie Smartie. Er war einfach nur lieb, geduldig und hatte eine supersüße Ausstrahlung, neben einer so hübschen Färbung. Am ersten Abend bei mir saß er schon auf meinem Finger und fraß mir Knaulgras aus der Hand. Seine schwere Krankheit hat er so geduldig ertragen. Er brauchte zweimal am Tag Medikamente in den Schnabel, zeigte mir jedes Mal anfangs durch Zwicken und Strampeln, wie schlimm er das eigentlich findet, aber wenn ich mich mit der Medikamentenflasche seinem Schnabel genähert habe, hielt er jedes Mal mucksmäuschenstill und ließ sich bewegungslos den Schnabel aufschieben, bis der Tropfen drin war. Ergeben, anders kann man es nicht bezeichnen. Alleine bei der Erinnerung laufen mir die Tränen nur so über's Gesicht.
Ich habe einen fast vierstelligen (!) Betrag an Tierarztkosten für ihn gezahlt, klaglos auf meinen Herbsturlaub verzichtet, und hätte gerne noch mal so viel gezahlt - wenn er nur hätte leben dürfen. Wohlbemerkt schmerzfrei und lebenswert. Ich weiß, dass ich alles für ihn getan und nichts falsch gemacht habe und dass die Erlösung ein Segen für ihn war und der letzte Liebesbeweis, den ich ihm erweisen konnte. Dennoch tut es mir so unendlich leid, und es wird sehr lange dauern, bis ich mit der Welt wieder halbwegs ausgesöhnt bin.
Smartie wurde nicht mal ein halbes Jahr alt...