Hey,


vielen Dank für Eure - so schnellen! - und lieben Antworten. Mir hat das auf den ersten Schreck wirklich geholfen. Ist schon komisch, man kann manchmal einfach im Internet sofort Rat finden. Ich danke Euch so sehr für Eure lieben Worte, ich weiß gar nicht, wie.


Mittlerweile vermute ich, dass der Abstrich vom Kropf sie verletzt haben muss, denn der kam nach der Infusion und würde das Würgen und Kämpfen erklären. Ich denke auch nicht, dass es die Schuld von dem Tierarzt war, der war wirklich nett und die Praxis total auf Vögel ausgerichtet. Ich hab einfach nicht damit gerechnet, mit einem kleinen Karton aus der Praxis rauszugehen. Er hat auch eine Obduktion angeboten, aber das ändert ja nichts.


Ist das okay, wenn ich noch ein bisschen erzähle?


Meine Nachbarin war mit mir beim Tierarzt und hat mich gleich in den Arm genommen, weil ich so weinen musste. Ich war einfach nicht darauf vorbereitet.


Ich denke auch, dass ich sie früher dorthin hätte bringen müssen. Sie war nämlich vorher in einer Pension, weil ich für ein Praktikum weg musste. Als ich die zwei Vögel abgeholt und nach Hause gebracht hatte, ist sie am nächsten Tag krank geworden. Ich dachte noch, es könnte der Schreck von der Reise sein. Sie ist immer ein sehr zierlicher Vogel mit einem schiefen Schnabel gewesen, ich hab sie vor vier Jahren im Park gefunden. Der Züchter, den ich über die Nummer herausgefunden hatte, wollte sie damals nicht zurück. Sie hatte sich schon eine Weile mit den Spatzen im Park durchgeschlagen und war immer ein ganz zäher Vogel. Darum hätte ich früher reagieren sollen! Der Tierarzt meinte auch, vielleicht war sie schon etwas älter, aber naja, wer weiß.


Ich weiß auch, dass das jetzt keine Rolle mehr spielt.


Heute haben wir sie im Garten von meiner Nachbarin begraben. Meine Nachbarin ist im Hintergrund geblieben, weil ihr das zu traurig war. Das war total okay, sie hat vor zwei Monaten ihren Mann verloren. Also hat sie einfach das Laub im Garten zusammen gerecht, es war dämmrig, der Himmel schön rot. Ich hab eine Kerze angemacht und einen versteinerten Seeigel auf den Platz gelegt. Ich mag diese Seeigel, sie sind vor 70 Millionen Jahren zum Meeresboden bei einem Massensterben gesunken, heute findet man sie am Strand, versteinert, und das bringt Glück.


Ich hatte sie so gern - bei der kleinen ‚Zeremonie‘ - alles ganz behutsam und - für mich, denke ich - richtig gemacht, mir Zeit genommen, aber sie auch gleich vermisst. Sowas hab ich ja noch nie gemacht. Und nun möchte ich sie immer noch beschützen, mache mir Sorgen, ob es ihr gut geht. Woher kommt das denn? Das finde ich richtig komisch an mir, in meinem Kopf denke ich wie ein Kind irgendwie, das kenne ich so gar nicht von mir. Denn ich versteh ja längst, dass es vorbei ist. Kennt Ihr das vielleicht? Ich fühle mich so komisch.


Ihrem Partner widme ich gerade alle meine Zeit. Er singt wieder - die Tage davor war er still und nur an ihrer Seite. Aber er hat ganz komische Launen, manchmal ruft er laut, dann schläft er am Fressnapf ein. Mir tut er so leid. Ich wünschte, ich könnte ihm gerade einen Leihvogel an die Seite geben, damit er nicht allein ist, er ist ein sehr geselliger Vogel. Ich hab ihn aus dem Tierheim bekommen, er stammt aus einer Hordenhaltung, wo 70 Vögel in Stuttgart in einem Zimmer lebten, er ist dort sogar geboren und hat keinen Ring.


Nun braucht es aber erstmal - für mich ? - etwas Zeit, bevor wir einen neuen Vogel holen können, natürlich wieder einen aus einem Tierheim oder so (ich werde nie einen kaufen vom Züchter, weil das nicht gut ist). Mit dem Tierarzt ist auch abgesprochen, dass ich ihn erstmal beobachten soll und mich immer melden kann, eine Probe habe ich gestern auch dorthin gegeben. Er wirkt gesund, aber er tut mir sehr leid. Wir machen uns gerade einfach ein paar gute Tage, ich spiele ihm Podcasts vor, die er mag, und wasche viel ab, was er noch lieber mag, wegen den Geräuschen.


Alles ist blöd - und ich habe mit all dem nicht gerechnet. Danke, falls Ihr das hier lest. Ihr habt recht, ich sollte dankbar sein für die Zeit mit ihr. Ich hab mich heute bei ihr bedankt - halb scherzhaft - für den Ärger, den sie gemacht hat (sie hat immer morgens um fünf ganz laut nach den Spatzen draußen gerufen) und für all die Freude. Sie war zäh, eigen, hat ihren Partner oft geärgert, aber nie außer Sichtweite gelassen. Sie wurde auch nie zahm, aber wir haben viel schönen Quatsch zusammen gemacht und ich war immer froh, dass es sie gibt.


Elli